
Der blinkende Cursor starrt mich an und ich kann mir noch nicht vorstellen, wie die Erlebnisse und Eindrücke der letzten Nacht ihren Weg auf die weiße Fläche finden sollen. Aber versuchen kann ichs ja mal – zum Schlafen bin ich gerade sowieso viel zu aufgedreht.
Es ist Sonntag, 8:45 und ich bin vor ein paar Stunden von meiner ersten Sexparty zurückgekehrt. Schon vor fast zwei Monaten haben eine gute Freundin und ich diesen Besuch geplant.
Als wir gestern Abend ankommen, sind wir erstmal ein bisschen erschrocken – der Altersdurchschnitt liegt schon um einiges höher als in einem normalen Club zum Feiern. Am Ende der Nacht bin ich zu dem Schluss gekommen, dass viele Menschen vermutlich einfach so einige Lebensjahre brauchen, um sexuell zu sich zu finden und zu ihren Neigungen zu stehen. Oder vielleicht erst in oder nach langjährigen Beziehungen ihre Experimentierfreude entdecken?
Denn dass hier niemand Angst hat, sich zu zeigen, sieht man: Ein schlanker Mann bewegt sich in schwarzem Spitzenkleid und eleganten Schuhen gekonnt auf der Tanzfläche. Im Innenhof, wo sich auch die Raucher versammeln, treffen wir einen anderen, der komplett in knallroten Latex gehüllt ist, inklusive zweier riesiger aufgeblasener Titten, die mit den großen Nippeln an Kuheuter erinnern. Eine Frau trägt einfach nur eine weite Anglerhose, deren Hosenträger sich über ihre natürlich-unrunden und gerade deshalb schönen Brüste legen. Damen im Kapitänskostüm sind auch dabei, und hübsche junge Frauen im Reifrock und ausgefallenen Strapsen, die mich ins Schwärmen bringen. Die erste Zeit tanzen wir einfach und lassen unsere Blicke wandern – ganz schamlos. Wofür sich schämen? Sex und Erotik sind hier als Dimension ganz selbstverständlich mit dabei – in den Outfits, und auch in den separaten Spielräumen, zu denen von der Tanzfläche aus zwei Türen abgehen.
In diese fremde Welt wagen wir uns schließlich nach einem weiteren Gin Tonic – und schon präsentiert sich uns eine eindeutige Szene: Eine zierliche blonde Frau kniet vor einem Mann im Smoking, der sich aufmerksam im Sessel zurücklehnt, während ihr Mund seinen Schwanz immer wieder tief in sich aufnimmt. Wir nehmen auf einem der vielen Betten im Raum Platz und beobachten das Schauspiel – Porno live sozusagen. Kurz darauf ziehen die beiden auf eine der breiten Matratzen um. Sie scheinen ihre Umgebung gar nicht wahrzunehmen. Der Mann legt nochmal Hand bei sich an, ehe er seine weit gespreizt bereit liegende Partnerin nimmt – dann vögeln die beiden konzentriert.
Andere Begegnungen, die wir später am Abend miterleben, sind da intensiver. Ein eher kleiner Mann mit Bauch hat seine ganze Hand in der Muschi einer großen Frau mit ausdrucksstarkem Rücken-Tattoo versenkt und bringt sie zum Zucken und Stöhnen. Das hört sich nicht mehr an wie im Porno, sondern deutlich echter, manchmal auch lustiger.
Zwischendurch wirkt das Treiben fast banal auf mich und bringt mich zu der Frage: What’s the big deal anyways? Triebe und Fantasien haben wir doch alle – die Menschen hier leben sie eben einfach aus. In gewisser Hinsicht erscheint es mir viel schmutziger, jemandem direkt ins Gesicht zu lügen, als sich hier safe, sane und consensual die eigenen Gelüste zu erfüllen.
Apropos safe, sane und consensual: Viele Paare in BDSM-Konstellationen sind präsent. Überall sieht man die Verbindung zwischen den Partnern. Nur ein mittelalter Typ, der von zwei maximal zwanzig aussehenden Mädchen begleitet wird, ist uns unsympathisch. Sie wirken ihm hörig, das Verspielte fehlt. Möglich, dass auch das einfach eine Art von psychologischem Spiel ist, in sich dem alle Beteiligten wohlfühlen. Unser Bauchgefühl als Außenstehende sagt aber etwas anderes und deshalb bin ich froh, dass meine Freundin die beiden jungen Frauen auf der Toilette trifft und darauf anspricht, mit wem sie hier sind. „Mit unserem Dom und einem anderen Pärchen“ ist die Antwort.
Wirklich überzeugt sind wir nicht, versuchen uns aber damit zu beruhigen, dass sie vermutlich volljährig und anscheinend auch klar genug im Kopf sind, um zu wissen, was sie tun. Später fängt der große Typ an, der einen jungen Schönheit den Hintern zu versohlen, währen die andere still daneben sitzt – meiner Freundin ist der Anblick zu viel und auch ich habe sehr gemischte Gefühle. Also kehren wir zurück auf die Tanzfläche. Als ich später auf dem Tisch am Ausgang ein Spendenschweinchen für Frauen in Not entdecke, freue ich mich und komme zu dem Schluss, dass zumindest die Veranstalter und das ganze Drumherum durchaus überzeugend sind. Alle verhalten sich ungezwungen, aber respektvoll. Anders als in einer durchschnittlichen Disco werden weder wir noch sonst irgendjemand dumm angemacht – was mich gerade am Anfang durchaus überrascht angesichts der nackten Brüste, die bei einigen Damen ganz undezent in Kombination mit klassischer Abendgarderobe zur Schau gestellt werden.
Viele Begegnungen sind angenehm – der Mann mit den roten Latexeutern bejaht auf meine Frage „Darf ich mal anfassen?“ freundlich, ein knackiger Italiener bietet meiner Freundin eine Massage an und bleibt auch entspannt, als sie es sich nach anfänglichem Interesse anders überlegt. Ein privater Raum ist gerade nicht frei und der Moment scheint für sie nicht ganz zu stimmen. Später stimmt er dann, der Moment, und zwar für uns alle. Auf der Tanzfläche kommen wir dem Typ im schwarzen Spitzenkleid näher, tanzen eng umschlungen. Zungen finden ihren Weg in meinen Mund, Hände streicheln meinen Nacken.
So einiges passiert, mit dem ich vorher nicht gerechnet hätte – es ist eine Welt voller ungewohnter Möglichkeiten, wie ein Buffet aus exotischen Speisen. Trunken von den Eindrücken und Drinks lasse ich mir meine schwarzen Ankleboots von einem willigen Diener ebenso hingebungsvoll wie professionell polieren, während ich mir auf dem bequemen Lederstuhl Popcorn in den Mund werfe und übermütig in mich hineingrinse.
Nach einem weiteren Ausflug in die Nebenräume, bei der wir mit unserem neuen Spielpartner auch ein bisschen ins Gespräch gekommen sind, lassen wir uns auf einer der dunklen Kirchenbänke nieder, die den Club zieren, und löffeln die als Mitternachtssnack servierte Erbsensuppe, in der anderen Hand ein Glas Sekt.
Der Abschied später von der Dame in Schwarz ist überraschend casual nach der aufregenden Begegnung. Wir bedanken uns für den schönen Abend. Er umarmt uns und lässt uns freudig gehen, ohne Erwartungen, Nummerntausch oder Ähnliches (Handys sind ohnehin strikt verboten wegen der Smartphonekameras).
Das Taxi zurück teilen wir uns mit einem Pärchen, das sich offenbar schon länger von den Parties kennt, aber heute erstmals gemeinsam weiterzieht, um die Bekanntschaft zu vertiefen. Wir outen uns als Neulinge und werden prompt mit einem charmanten Grinsen gefragt: „Soso, seid ihr seit heute also auch schon echte Drecksluder?“
Für mich war es sicher nicht der letzte Besuch in diesem fremden Universum – wenn ihr auch mal so eine spannende Nacht erleben wollt, findet ihr unter www.kunst-und-suende.de alle Termine für die in Hamburg, Berlin, Offenbach und Nürnberg stattfindenden Parties.
Text: Ute
Titelfoto: Aaron Tsuru (c) tsurufoto.com
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